DIGITALE KOLLAGE

„Hybride Stationen und fremde Jahreszeiten“

 

KOYAO bedeckt Fotopapierbögen mit eindrucksvollen und rätselhaften hybriden weibliche Figuren, die teils organisch, teils anorganisch sind und aus digitalisierten Fotofragmenten, Röntgenbilder,  Zeichnungen und Texturen bestehen, in Form einer multimedialen Collage. In den Jahren 2013 und 2014 wurde sie eingeladen, diese Werke, die die Künstlerin in den ersten Jahren ihres Aufenthalts in Deutschland geschaffen hat, in verschiedenen Städten des Landes auszustellen.

 

Tilman Rothermel

 

Bei diesen  Arbeiten erkennt man ebenfalls menschliche Wesen, die in eigenartiger Weise verfremdet sind, aus unterschiedlichsten Wesenselementen zusammen collagiert sind. Man erkennt auch ein gestalterisches Grundprinzip: Alle Arbeiten sind in der Mitte des Blattes, beanspruchen somit absolute Präsenz, das Umfeld ist nicht gemeinter Raum. Dazu verhilft auch die Symmetrie, die bei den meisten Arbeiten eine wesentliche Rolle spielt, eine Symmetrie, die den Bildern eine fast magische Dichte verleiht.

 

Ein weiteres Charakteristikum ist auffällig: man muss sich den Bildern öffnen, muss sie genau ansehen muss ihnen fast zu nahe treten. Eigentlich könnte man eine Lupe gebrauchen, um die ganzen feinen Verästelungen, die grafischen Besonderheiten tatsächlich wahrzunehmen.

 

„Hybride Stationen und fremde Jahreszeiten" nennt Cristina Collao diese Werkreihe.

Das Wort 'hybrid' bezieht sich auf etwas Gebündeltes, Gekreuztes oder Gemischtes. Es stammt ab von lateinisch hybrida „Mischling". Soweit der Kenntnisstand von Wikipedia. Unter hybriden Stationen stellen wir uns dann etwas vor, was einen Ort, einen Moment, eine Situation darstellt, die in sich mehrfach gebrochen, gekreuzt mit Anderem, Fremden, bildnerisch gesprochen: collagiert ist.

Soweit können wir das nachvollziehen.

 

Es sind Wesen mit Hörnern am Kopf, mit Käfern als Ohrringe, mit Fischschwänzen als Leibern.

In der Einladung wird die Nähe zum realismo magico benannt, einer Verschmelzung von realer Wirklichkeit, also dem Greifbaren, Sichtbaren, Rationalem, und einer magischen Realität der Halluzinationen, der Träume. Der realismo magico ist eine „dritte Realität", eine Synthese aus den uns geläufigen Wirklichkeiten, wobei der Übergang zum Surrealismus fließend ist.

 

Der realismo magico ist vor allem auch in der Literatur beheimatet, einer der wichtigsten Vertreter war der erst kürzlich, am 17. April 2014 verstorbene Gabriel García Márquez. Es tut sich hier eine Welt auf, die rational gesehen gar nicht existieren kann, die aber auf einer anderen Ebene ganz selbstverständlich erscheint, eine nicht rationale Logik verkörpert.

 

In der bildenden Kunst kennen wir Leute wie den hier besonders bekannten Franz Radziwill, aber auch ein Werner Tübke, oder ein Rolf Escher sind diesem Verständnis von Realität zuzuordnen.

In jedem Fall handelt es sich bei dieser Weltsicht um eine andere Form der Realität, als wir sie für unsere Alltagsbewältigung gebrauchen können.

 

Cristina Collao erzählte mir bei unserem Gespräch von ihren ganz existentiellen Erfahrungen im Urwald, bei den Indianer, bei den Riten der Reisen in das Innere im Trance, bei dem Erleben der Natur im halluzinogenen Rausch.

 

Die Bilder, die Sie hier sehen, liebe Gäste, sind Bilder solcher Erfahrungen, es sind teils monströse, teils auch durchaus freundliche Zustandsbeschreibungen, wie die Künstlerin ihre Existenz hier in der Bundesrepublik erlebt, aber es sind eben auch keine Beschreibungen sondern imaginative, fast transzendente Formulierungen. Sie nennt es die „Alchimie der Bilder".

 

Sicher können wir die spezielle Symbolik der angewandten Elemente nur schwer erfassen, so erleben, wie es die Künstlerin sicherlich tat. Aber wir können uns in eine Haltung versetzen, die eintauchen kann in das Mysterium der menschlichen Seele, der unterschiedlichsten menschlichen Befindlichkeiten. Und ihre Bilder können dazu einen Schlüssel bieten.

 

Die großen Bilder hier sind deutlicher mit der Künstlerin selbst verknüpft. Wir erkennen die Bilder als Portraits, überall taucht sie selbst auf - aber eben wieder in ganz eigenartigen metaphorischen Zuständen.

 

Es sind Bilder ihrer Verbundenheit mit dem Magischen, mit dem menschlichen Urbedürfnis, die eigene Existenz zu ergründen. Wir hier in der westlichen Zivilisation haben uns ziemlich abgewöhnt solcherlei Erfahrungen zu suchen, vielleicht ist der Rausch, das Koma Saufen, der Drogenkonsum ein Signal dessen, dass man auch mit den Angeboten unserer „normalen" Kultur diese Bedürfnisse nur schwerlich erfüllen kann, aber wenn ich das richtig sehe, sind solche Erfahrungen eher nicht mit unserer kulturellen Alltäglichkeit zu vereinbaren.

 

„Wie ist das, wenn man mit solchen Ideen, solchen Erfahrungen und Praktiken nun in der Bundesrepublik, dazu in Bremen lebt, ist da überhaupt noch etwas von dieser Nähe zu sich selbst, zu der eigenen Natur möglich?" fragte ich sie.

„Man kann nie von Zuhause weggehen" sagt Collao. In den zwei Jahren in denen Cristina nun in Deutschland lebt, ist sie von einem tiefen Chaos, einer Situation des Ungreifbaren zu einem Zustand gekommen, in dem sie die Lebendigkeit hier für sich erobern kann. Auch wenn sie immer noch nicht hier mit der Seele angekommen sei, sagt sie, wachsen ihre Wurzeln langsam in den Boden und je tiefer sie wachsen umso mehr kann sie sich hier wieder finden.

Das weiße Bild, welches Sie ganz dort hinten finden, ist ein Ausdruck dessen, wie sie sich zur Zeit am ehesten selbst erfährt.

 

Und wenn die Künstlerin solche Arbeiten aus den verschiedensten Bildelementen am Computer generiert, dann ist auch diese Arbeit - in der Distanz des Mediums - eine Suche nach einer Möglichkeit von Nähe. Es ist der Versuch die „fremden Jahreszeiten", das unbekannte Klima in die eigene Realität zu transferieren. Collao tut dies mit der ihr eigenen „ja, barocken, verschwenderischen" Üppigkeit der Formen und Bilder, die uns ans Karge gewohnte Deutsche durchaus ins Schwelgen bringen können und uns Mut machen die Dinge andersartiger zu sehen als mit unserer anerzogenen Kulturbrille.

 

Deswegen sind wir für diese bildnerischen und damit auch lebendigen Impuls dankbar.

 

Laudatio

25.04.2014, Bremen, Deutschland

 

arte@cristinacollao.de